
Abbildung 3

Abbildung 4
Bei der therapeutischen Anwendung der Akupunktur geht man davon aus, dass Stiche durch die Haut an besonderen Orten, den Akupunkturpunkten, zu reflektorischen Veränderungen in der Funktion innerer Organe führen. Verschiedenste Effekte sind wissenschaftlich nachgewiesen: Steigerung der Durchblutung, Senkung der Muskelspannung, Anregung des Immunsystems und eine antientzündliche Wirkung. Zudem kommt es im Zentralnervensystem zum Freisetzen von verschiedenen Botenstoffen wie Endorphinen, Enkephalinen, Serotonin und Acetylcholin.
Bezüglich des Entwicklungsgrades der Akupunktur unterscheiden wir drei Stufen: Die einfachste Form der Akupunktur ist die sogenannte “locus dolendi Akupunktur”. Dabei wird dort eine Nadel gesetzt, wo vom Patient der Hauptschmerzpunkt angegeben wird. Die zweite Entwicklungsstufe der Akupunktur verwendet bereits sogenannte Fernpunkte, von denen bekannt ist, dass sie reflektorisch auf das erkrankte Körpergebiet einwirken können, obwohl sie weit davon entfernt liegen. Bei der Anwendung der dritten und höchsten Entwicklungsstufe, der “konstitutionellen Akupunktur”, versucht der Therapeut, auf die grundlegenden Schwächen eines Patienten einzugehen, diese auszugleichen und so einen möglichst tiefgreifenden und dauerhaften Effekt zu erzielen.
Abb3 Im Fall des Eismanns findet sich nicht nur die “locus dolendi Akupunktur” in Form von Punkten, die direkt über der schmerzhaft-veränderten LWS und den erkrankten Beingelenken liegen. Vielmehr wurde auch die zweite Akupunkturform mit Fernpunkten angewendet: In der gesamten Akupunktur-Literatur ist der Punkt “Blase 60” als Meisterpunkt für Schmerzen entlang des Blasen-Merdians angeführt. Genau im Bereich dieses Punktes liegt hinter dem linken Außenknöchel ein kleines, tätowiertes Kreuz.
Sogar die höchst Entwicklungsform, die konstitutionelle Akupunktur, fand bereits beim Eismann Anwendung: Zur Therapie von tiefliegenden, rheumatischen Schmerzen, Knochen- und Gelenksveränderungen und Beschwerden, die sich vor allem unter Kälteeinfluss verstärken, werden noch heute vor allem zwei Punkte angegeben: Blase 23 in der Höhe des 2. und 3. Lendenwirbelkörpers, zwei Fingerbreiten seitlich der Dornfortsätze (Abb. 3) und der Punkt Niere 7, zwei Daumenbreiten oberhalb des Innenknöchels (Abb. 4). Diese beiden Punkte wurden beim Mann aus dem Eis exakt getroffen. Abb4
Somit kann festgestellt werden, dass durch diese Entdeckung die historischen Ursprünge der Akupunktur, die bisher mit etwa 200 v. Chr. angegeben wurden, um 3000 Jahre auf 3200 v. Chr. vordatiert werden können. Daneben ist die bis dato gängige Vorstellung abzuändern, dass die Akupunktur ausschließlich im fernen Orient entwickelt wurde und in unserem Kulturkreis keine entsprechenden Therapieformen vorhanden waren. Vielmehr ist anzunehmen, dass im mitteleuropäischen Raum bereits hunderte Jahre vor der Lebenszeit des Eismanns Vorformen der Akupunktur praktiziert wurden. Es ist weiter anzunehmen, dass der hochentwickelten Akupunktur-Methodik, die wir am Eismann erkennen können, eine intensive Entwicklungsphase vorausging. Somit wird der jungsteinzeitlichen mitteleuropäischen Medizin im internationalen Vergleich zukünftig ein wesentlich höherer Entwicklungsgrad zuerkannt werden müssen, als bisher angenommen wurde.